Impuls zum 2. Ostersonntag

In der Schule schon haben viele Goethes Faust gelesen. In einer Szene dieses Dramas sitzt Faust in seiner Studierstube und ist des Studierens und überhaupt des Lebens überdrüssig. Er möchte seinem Leben ein Ende setzen. Da hört er aus der benachbarten Kirche das Lied „Christ ist erstanden“. Die damit verbundene Erinnerung an seine Kindheit hält ihn davon ab sein Vorhaben umzusetzen. Was aber nicht bedeutet, dass er an die Auferstehung glaubt. Im Gegenteil, er sagt die berühmt gewordenen Worte: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“

Jesus nimmt die Zweifel des Apostel Thomas ernst

Ganz ähnlich formuliert es der Apostel Thomas im Evangelium des 2. Ostersonntags. Zunächst hatte Thomas nicht geglaubt, dass in seiner Abwesenheit Jesus den Aposteln erschienen war: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“ (Joh 20,25). Als Jesus wieder erscheint ist Thomas dabei: Ihm und seinen Zweifeln gilt die Einladung Jesu: „Streck deinen Finger aus, hier sind meine Hände. Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig“ (Joh 20,27). Jesus verurteilt den zweifelnden Thomas nicht. Er nimmt seine Zweifel ernst und hilft ihm gleichzeitig sie zu überwinden.

Jesus selbst legt die Finger auf die Wunde des Zweifels

Thomas legt tatsächlich den Finger in die Wunde Jesu. Wenn jemand sprichwörtlich „den Finger in die Wunde legt“, dann gehen wir heute meistens davon aus, dass er auf etwas Unangenehmes hinweisen will. Das muss es aber gar nicht sein. Jesus selbst hat oftmals den Finger im übertragenen Sinn in die Wunde gelegt – von Menschen, die er geheilt hat. Es ist eigentlich paradox: Thomas, der gefordert hat, seinen Finger in die Wunden zu legen, erfährt: Jesus selbst legt die Finger auf die Wunde des Zweifels bei ihm.

Mein Herr und mein Gott!

Thomas reagiert darauf mit dem Wohl schönsten Glaubensbekenntnis des Neuen Testaments: „Mein Herr und mein Gott!“ Augustinus sagt zu dieser Szene: Thomas „sah und berührte den Menschen, bekannte aber seinen Glauben an Gott, den er weder sah noch berührte. Was er aber sah und berührte, veranlasste ihn, an das zu glauben, woran er bisher gezweifelt hatte“.

Selig sind, die nicht sehen und doch glauben

Jesu Antwort auf das Glaubensbekenntnis wendet sich nochmals an Thomas, aber zugleich an alle, die nach Thomas kommen werden, also auch an uns: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29). Tatsächlich definiert der Hebräerbrief den Glauben als „Feststehen in dem, was man erhofft, überzeugt sein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr 11,1). Die Geschichte des zweifelnden und glaubenden Thomas ist für uns aus mindestens drei Gründen wichtig: erstens weil sie uns in unseren Ungewissheiten tröstet; zweitens, weil sie uns zeigt, dass jeder Zweifel über alle Ungewissheiten hinaus zum Licht führen kann; und schließlich, weil die an Thomas gerichteten Worte Jesu uns den wahren Sinn des Glaubens in Erinnerung rufen und uns ermutigen, ungeachtet der Schwierigkeiten auf unserem Weg der Treue zu Jesus weiterzugehen.

Text: Pfr. Franz Lang, Prior der Komturei Walldürn

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