„Bleibt in meiner Liebe“
Liebe
Das Wort Liebe durchzieht den 1. Johannesbrief und das Johannesevangelium des 6. Ostersonntags wie ein roter Faden: Neunzehn Mal dringt es an unser Ohr. So, als gäbe es nichts Wichtigeres. Die Dramatik wird deutlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es sich um die Abschiedsrede Jesu, sein Vermächtnis handelt. Papst Benedikt XVI. hat seine erste Enzyklika im Dezember 2005 „Deus caritas est“ betitelt und schreibt am Anfang: „In einer Welt, in der mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass und Gewalt verbunden wird, ist dies eine Botschaft von hoher Aktualität und von ganz praktischer Bedeutung.“ Und wir spüren die Brisanz auch 20 Jahre später besonders im Blick auf das Hl. Land: in der Liebe Gottes zu bleiben und aus ihr heraus zu leben ist das Gebot dieser Stunde.
Freunde
Von Jesus Freund genannt zu werden – gibt es etwas Schöneres? Für unsere Priesterweihe vor über 30 Jahren im Bistum Hildesheim haben meine Mitbrüder und ich dieses Evangelium gewählt und immer, wenn ich es verkünde, erinnert es mich an diesen Tag. Welch tiefe, vertrauensvolle Beziehung wird in diesem Wort deutlich. Unser Spiritual sagte damals: „Wir können aus der Freundschaft, aus der Liebe Christi nicht herausfallen.“ Selbst dann nicht, wenn wir nicht immer seine Gebote halten und Frucht bringen.
Erwählung
Gottes Handeln an uns geht immer wieder unserem voraus! Er ist der zuerst Agierende und ich antworte mit meinem Leben auf seine Initiative, auf seine Liebe. Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern er uns; nicht wir haben ihn erwählt, sondern er uns! Das kann mich entlasten und zugleich anspornen.
Bleiben
In seiner Liebe bleiben bedeutet nicht passiv auszuharren, sondern aktiv etwas zu tun, Frucht zu bringen, sein Leben für seine Freunde einzusetzen. Ich denke da an Menschen, die für Andere in der Krankheit und im Sterben da sind; ich denke an „Ärzte ohne Grenzen“, die ihre Freizeit und berufliche Kompetenz für Hilfsbedürftige weltweit einsetzen; ich denke an uns als Ordensgemeinschaft, die wir in dieser Zeit mehr durch das Gebet und die finanzielle Hilfe den Menschen im Hl. Land beistehen können als durch unsere Pilgerfahrten.
Br. Massimo Fusarelli OFM, der Generalminister des Ordens der Minderbrüder, OFM, der Mitte April das Hl. Land visitierte, hat seinen Mitbrüdern gesagt: „Das erste Wort lautet also: ‚Bitte, Brüder, bleibt hier. Bleibt nicht eingeschlossen, sondern bleibt bei den Menschen, bei den Menschen, so gut ihr könnt. Das erste Wort, das ich sagen möchte, ist also dieses: als Fürsprecher bleiben, vom lateinischen intercedere, zwischen Gott und den Menschen wandeln, mitten auf dem Schlachtfeld. Wir befinden uns auf einem Schlachtfeld. Bleiben wir als jemand, der zwischen den beiden Seiten steht und Gott daran erinnert, dass dies sein Volk ist. Das dritte Wort, das ich den Brüdern sage, ist: „Schaut schon in die Zukunft“. Denkt an die Kinder, denkt daran, wie wir diesem Land weiterhin Hoffnung und Vertrauen geben können. Während wir im Krieg feststecken, schaut schon auf die Zukunft.“
Den Menschen in unserer Ordensgemeinschaft, den Menschen in unseren Gemeinden, den Schwestern und Brüdern im Hl. Land weiter Hoffnung geben, können wir nur, weil er uns erwählt hat und aufruft: „Bleibt in meiner Liebe.“
Text: Pfr. Christoph Lindner, Prior der Komturei St. Oliver/Hildesheim