Cfr. Abt Nikodemus Schnabel auf Deutschlandreise – ein abendliches Gespräch
Finsternis in der Welt, in die das Licht gekommen ist
Ja, die aktuellen Bilder aus dem Heiligen Land, die derzeit die Nachrichten dominieren, sind erschreckend, schlimm, grausam, verstörend, voller Hoffnungslosigkeit. Bilder voller Dunkelheit, die einen anscheinend nicht enden wollenden Karfreitag dokumentieren. Doch genau in dieser Dunkelheit suchte einst „ein führender Mann unter den Juden“ (Joh 3,1) in Jerusalem nach Licht: Bereits gleich zu Beginn des 3. Kapitels des Johannesevangeliums wird vom nächtlichen Gespräch des Pharisäers Nikodemus mit Jesus berichtet. Die Ausführungen enden mit dem Hinweis Jesu auf die Finsternis der Welt, in die das Licht gekommen ist.
Aus der Dunkelheit Wege zum Licht suchen – öffentlich Position beziehen
Über 2000 Jahre später und auf den Tag genau ein Jahr nach seiner Abtsweihe am Pfingstsonntag 2023 in der Dormitio besucht Cfr. Abt Nikodemus Schnabel – zwar nicht zu nächtlicher, aber zumindest abendlicher Stunde – am 28. Mai 2024 die Komturei Hrabanus Maurus Fulda, in der er als Ritter vom Heiligen Grab beheimatet ist. Die brennende Kerze auf dem Kuchen, welchen der Leitende Komtur Cfr. Hans-Jürgen Dröge Abt Nikodemus OSB anlässlich seines Weihejubiläums überreicht, steht zeitgleich auch symbolisch für die Intention, in der Cfr. Nikodemus seinen Jahresurlaub in der „alten Heimat“ Deutschland verbringt: Aus der Dunkelheit Wege zum Licht zu suchen. So wie einst der biblische Nikodemus in den Schrecken des Karfreitages Unrecht und Tod zwar nicht verhindern konnte, verharrte er trotzdem nicht in gelähmten Entsetzen, sondern erwies dem geschundenen Christus einen letzten Liebesdienst und scheute sich nicht (mehr), öffentlich Position zu beziehen.
Der österliche Mensch und der Krieg der Bilder
Abt Nikodemus, der sich selbst als „zutiefst österlichen Menschen“ bezeichnet, verweigert ebenso das Verharren in der Klage: Allein an diesem Tag stand er in nicht weniger als sechs Gesprächsterminen Rede und Antwort. Angefangen von morgendlichen Gesprächen in Schulen wie dem katholischen Mädchengymnasium Marienschule über den Besuch im Fuldaer Bischofshaus und eine öffentlichen Podiumsdiskussion im örtlichen Kolpinghaus bis hin zum abschließenden abendlichen Beisammensein mit den Confratres und Consorores der Komturei Hrabanus Maurus absolvierte Cfr. Nikodemus ein „strammes Programm“. Angetrieben wird er dabei stets von der Intention, als Gegenpol zu den propagandistischen Narrativen der Konfliktparteien und abseits vom „Krieg der Bilder“ über die Lage der Christen im Heiligen Land zu informieren. Dabei ist ihm besonders wichtig, das vorhandene Leid nicht auszuklammern, aber vor allem auch auf die „Lichtblicke“ hinzuweisen, die die christliche Gemeinschaft im Heiligen Land mit unglaublichen Anstrengungen zu schaffen versucht.
Karfreitag und Karsamstag
Als einzige Religionsgemeinschaft sind die Christen auf beiden Seiten in den Konflikt involviert: Auf israelischer Seite sind sowohl hebräisch sprechende als auch arabische Christen von den Gräueltaten der Hammas betroffen. Stand heute wurden bislang 34 Christen in Gaza allein durch die IDF (Israel Defense Forces) direkt oder indirekt (d.h. durch mangelnde medizinische Versorgung) getötet, 4 katholische Filipinos durch die Hamas am 7. Oktober und ein katholischer indischer Feldarbeiter durch den Raketenbeschuss der Hisbollah im israelischen Grenzgebiet zum Libanon. Dabei erinnert Nikodemus daran, dass es neben dem „Karfreitag“, dem sichtbaren, furchtbaren Leid in Gaza, auch einen „Karsamstag“ gebe: das unsichtbare Leid der Menschen in der Westbank, u.a. der Christen in Bethlehem. Denn auch ökonomisch gesehen treffen die Auswirkungen des Konfliktes vor allem die stark im Tourismus engagierten christlichen Bewohner des Heiligen Landes. Nicht weniger als 16 christliche Familien seien seit dem 7. Oktober bereits infolge der aktuellen Situation ausgewandert.
Ökumene im Heiligen Land derzeit ein Traum
Geduldig beantwortet Nikodemus alle Fragen zur derzeitigen Situation, die sich vor allem auf die politisch-militärische, aber auch humanitäre Aspekte beziehen, lenkt aber dann den Blick auf Positives. Die Ökumene der Christen im Heiligen Land sei „derzeit ein Traum“. In diesen schwierigen Zeiten rücken – und hier bezieht Nikodemus ausdrücklich und ausnahmslos ALLE christlichen Konfessionen ein – alle näher zusammen und bemühen sich, mit einer Sprache zu sprechen und an einem Strang zu ziehen, um für die Menschen da zu sein und Leid zu lindern. Besonders erfreulich sei, dass trotz all der Probleme das geistliche Leben Aufschwung erfahre und die Dormitio an Pfingsten neue Novizen aufnehmen durfte.
Christen müssen die menschliche Freiheit zu Entscheidung verteidigen
Die Bemühungen der Dormito kommen in vielfältiger Weise zum Ausdruck: so bleiben Laden und Cafeteria geöffnet, man veranstalte Konzerte und Gebetszeiten, lebe Gastfreundlichkeit, nehme Menschen auf, die Schutz und Ruhe suchen. Diese Angebote stoßen laut Nikodemus auf große Resonanz, der bunt gemischte Freundeskreis wachse täglich, weil die Menschen dankbar wahrnehmen, dass die Dormitio ein Ort sei, an dem Schwarz-Weiß-Denken keinen Platz habe und alle Menschen – ganz gleich ob Jude, Christ oder Araber – gleichermaßen willkommen sind. Dabei sei vor allem wichtig darauf hinzuweisen, dass es von existentieller Bedeutung ist, dualistischer Polarisierung zu widerstehen, sich nicht in einen moralisch anspruchslosen „Opferwettbewerb“ hineinziehen zu lassen, sich nicht durch festgefahrene Argumentationsfronten „ins Bockshorn jagen zu lassen“, Juden gegen Muslime oder die „westliche“ gegen die „arabische“ Welt auszuspielen. Vielmehr müsse man sich zusammenraufen und an einer gemeinsamen Zukunft bauen, dabei müssen Nikodemus zufolge gerade Christen die menschliche Freiheit zu Entscheidung verteidigen, denn der von Gott geschaffene Mensch sei kein instinktgesteuertes Tier, sondern habe immer die Wahl „zurückzuspucken oder nicht“.
Nächtliche Gespräche als Lichtblick
So werden „nächtliche“ Gespräche über die Dunkelheit der Welt zum „Lichtblick“ für die Menschen – ganz im Sinne des biblischen Nikodemus, dessen heutiger Namensvetter vom „Team Hoffnung“ es so formuliert:
„Wo Menschen nur Wand und Mauern sehen, kann Gott Aufbruch schaffen!“