Das Geheimnis der Auferstehung
„Oh wahrhaft selige Nacht, dir allein war es vergönnt, die Stunde zu kennen, in der Christus erstand von den Toten“.
Mit diesen Worten wird in der Osternacht im Exsultet der Augenblick der Auferstehung Jesu besungen. Es sind Worte, die berühren und herausfordern. Denn sie machen deutlich, dass wir nicht wissen, wie und wann genau Jesus auferstanden ist. Niemand war Augenzeuge des Sieges Jesu über den Tod. Wir wissen einzig und allein aus den Berichten der Schrift, dass einige Frauen in der Frühe des Sonntags das Grab leer vorgefunden haben.
Das leere Grab steht im neutestamentlichen Evangelium nicht allein für sich. Es ist vielmehr mit den Erscheinungen Jesu verbunden. Das leere Grab verweist auf die Fülle der Begegnungen mit dem Auferstandenen. Davon berichten an Ostern alle Evangelien.
Die Erfahrung der Nähe Jesu
Eine besonders berührende Begegnung ist die Begegnung zwischen Jesus und Maria von Magdala. Als erste Zeugin des leeren Grabes ist sie eine Heilige, die unserem Orden vom Heiligen Grab zu Jerusalem in besonderer Weise nahesteht. Maria ist die Erste am Grab. Sie ist dabei sogar die Einzige, die den Herrn auch sieht. Deshalb wird sie die Apostolin der Apostel genannt.
Das leere Grab weckt in Maria von Magdala zunächst die Sehnsucht, nach Jesus zu suchen. Weinend schaut sie in das leere Grab. Dabei verkörpert sie den Typus des gläubigen Menschen, der nach dem Vergangenen und Vertrauten Ausschau hält. Auch uns geht das manchmal so. Wir suchen in Umbruchszeiten nach dem Vertrauten. Maria muss jedoch in ihrer Suche die Erfahrung machen, dass der Glaube nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart lebendig ist. Diese grundlegende Erfahrung wird durch das Wort Jesu eröffnet, indem er Maria von Magdala fragt: „Frau, warum weinst du?“ Dabei begegnet er Maria in diesem Augenblick mit seiner ganzen Sehnsucht. Er erinnert sie nicht an frühere Zeiten, in denen sie einander begegnet sind. Gott sucht den Menschen im Augenblick, damit er ihm das Geschenk des Lebens in seiner ganzen Fülle geben kann. So wird auch für uns heute deutlich: Der christliche Glaube ist nicht eine Theorie, ein Für-wahr-Halten von Sätzen, sondern eine Begegnung, eine Freundschaft mit Jesus Christus.
Diese Wirklichkeit lädt zum Betrachten ein: Maria wird erst dann Zeugin der Auferstehung, als sie sich beim Namen rufen lässt. Zuvor ist sie erschrocken. Sie will wissen, warum Jesus nicht da ist. In ihrer Wissbegier sieht sie nur den Gärtner. Wer den Glauben nur verstehen will, wer ihn als ein Konstrukt der Logik betrachtet, der wird nur den Gärtner oder sonst eine Hypothese finden. Aber wer hört und sich rufen lässt, der wird die Erfahrung machen, dass er selbst in seiner Suche gefunden worden ist.
Die österliche Herausforderung
Und dann geschieht in der biblischen Erzählung das Sonderbare: Wir könnten ja versucht sein, zu glauben, dass diese zutiefst persönliche Erfahrung, die Maria von Magdala am Morgen der Auferstehung Jesu macht, ihr allein gehört, sodass sie diese Erfahrung für sich festhalten möchte. In diese menschliche Versuchung hinein sagt Jesus jedoch das Wort: „Halte mich nicht fest. (…) Geh aber zu meinen Brüdern“. Die Erfahrung tiefster Freundschaft, die Intimität des Ostermorgens, wird sofort entprivatisiert. Maria erhält im Augenblick der Begegnung den Sendungsauftrag, ihre Erfahrung den Jüngern mitzuteilen.
Wenn uns das leere Grab in die Begegnung mit dem Auferstandenen führt, dann liegt darin der Auftrag zum Aufbruch, zur Mission und zum Pilgersein. Vor allem liegt darin der Auftrag, Versöhnung zu schenken und den Frieden zu leben. Das ist ein Auftrag, der auch gerade an uns Schwestern und Brüder im Orden vom Heiligen Grab zu Jerusalem ergeht. Und dabei gilt zu beachten: Es geht im österlichen Aufbruch nicht um eine Kritik an der Welt! Es geht nicht um das Zeigen mit dem Finger auf die Täter, die in dieser Welt so viel Unheil anrichten. Es geht vielmehr darum, von dem zu reden, was auch wir im Glauben erfahren: die Freundschaft und die Liebe Christi, aus der Hoffnung und Zuversicht erwächst. Dafür sind wir Zeugen: „Christus ist erstanden! Er ist wahrhaft auferstanden!“