Text: Cfr. Pfarrer Reinhold Seidl, Prior der Komturei Caritas-Pirckheimer Nürnberg
Sagt Ihnen der Name Agnes Bernauer etwas? Sie war die Geliebte von Prinz Albrecht von Bayern – wenn nicht sogar seine heimliche Frau. Seinem Vater war diese Verbindung ein Dorn im Auge und er hat die Bernauerin deswegen in der Donau ertränken lassen – dies ereignete sich im 15. Jahrhundert.
Eine Legende, sie sich um die beiden rankt:
Prinz Albrecht kam nach Straubing. Da entdeckte er an der Stadtmauer mit Kreide hingekritzelt:
„Ich habe Kreuz und Leiden,
und schreib es auf mit Kreiden.
Und wer kein Kreuz und Leiden hat,
der lösche diese Zeilen ab!“
„Geh, Knappe, wisch das weg!“ – soll der Prinz gesagt haben. „Ich bin glücklich und ich bin ohne Leid!“ Darauf der Knappe:
„Das solltet Ihr nicht tun, Herr; kein Mensch ist ohne Leid“. Albrecht aber bestand darauf. Der Spruch wurde abgewischt. – In derselben Nacht kam die Nachricht vom Tod der Bernauerin.
Ob es so war oder nicht – der Kern dieser Legende:
Kreuz und Leid gehören zum menschlichen Leben. Es wird immer den Wunsch geben, dass Leben ohne Leid möglich wäre. Aber solange es Menschen gibt, wird es eben auch geben: Schmerz und Kummer, Trauer und Leid und Kreuz.
Freilich: ein Kreuz, das muss nicht aus Holzbalken bestehen.
Kreuz, das kann alles sein, was mein Leben, meine Pläne, meine Träume buchstäblich durch-kreuzt.
Kreuz, das sind meist die alltäglichen Lasten, die ich tragen und ertragen muss. Etwas, das ich nicht ändern kann, und das mir schwerfällt, es auszuhalten. Da mag eine Krankheit sein – von Angehörigen oder mir selbst.
Da mag sein, dass ich ohnmächtig zuschauen muss, wie eines der Kinder ins Unglück rennt und ich nichts dagegen tun kann. Da mag sein ein Mensch, der mir auf die Nerven geht; den ich aber dennoch aushalten muss.
Da kann sein, dass ich ohne Arbeit bin oder ohne Wohnung, oder ohne was auch immer.
Und Kreuze gibt es auch im Großen der Welt: Krieg, Terror, Naturkatastrophen. Oder wie wir als Ritterorden vom Hl. Grab in diesen Tagen ohnmächtig zuschauen müssen, wie viel an Kreuz und Leid den Menschen im Nahen Osten auferlegt wird: die vielen Opfer der Vergeltungsangriffe Israels im Gazastreifen, die Nadelstichpolitik Israels gegen die Palästinenser, das Leiden und Erdulden der Christen im Hl. Land. Das geht nicht spurlos an uns vorüber.
Kreuze, durchkreuzte Leben, gibt es so viele.
Als Pfarrer habe ich immer wieder zu hören bekommen: „Warum ich? Warum muss gerade ich so ein Kreuz tragen?“ Oft gepaart mit: „Und warum hat´s der oder die so gut?“ Nur – welches Kreuz hinter der anderen Tür hängt, davon haben wir meist keine Ahnung.
„Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst. Er nehme täglich sein Kreuz auf sich. So folge er mir nach!“
Ein hartes Wort Jesu, das er da an seine Jünger richtet. Man mag es vielleicht dahingehend deuten: dann ist man Jesus nahe und ihm ähnlich.
Im Leben Jesu war das Kreuz nicht nur am Ende gestanden, es war – nicht als Holzbalken – schon von Anfang an dabei.
Das beginnt mit der Geburt Jesu: obdachlos und mittellos in der Fremde. Das setzt sich fort als Flüchtling in Ägypten. Das bedeutet Argwohn und Missgunst und verkannt werden in der eigenen Familie. Da sind die Nachstellungen und Verleumdungen seiner religiösen Gegner. Und am Ende dieses langen Kreuzweges wartet dann dieser grausame Tod am Holzkreuz.
Man kann hören: sein Tod am Kreuz war nur eine – eigentlich vermeidbare – Panne.
Und doch: Irgendwie war das Kreuz im Leben Jesu eingeplant.
Wie hätte Jesus seinen Glauben an die Liebe Gottes, aus der ich nie herausfallen kann, glaubhaft bezeugen können, wenn nicht durch sein Festhalten daran bis hinein in den Tod?
Wie hätte Jesus seinen bedingungslosen Glauben an Gott vorleben können, wenn nicht in – aus menschlicher Sicht – ausweglosen Lebenslagen?
Und wie sollte er sein Leben als Mensch wirklich geteilt haben, wenn er nicht bis zum tatsächlichen Äußersten mitgegangen wäre?
Nur weil er tatsächlich bis zum Letzten gegangen ist, nur darum ist seine Liebe, sein Mitgehen, sein Glauben echt und ehrlich. Sein Leben – das ist der Beweis dafür!
Wir reden heute so gern vom „Gott der Liebe“, der uns trägt und hält. Wir sagen gern, daß wir nie tiefer fallen können als immer wieder in seine Hände.
Ist das eine gelernte und schöne Floskel – oder ist das wirklich in meinem Herzen festgeschrieben? Glaub ich wirklich: Was immer auch ist, Du, Gott, du trägst mich da durch?
Wir reden heute so gern vom Gott der Liebe, der nachsichtig ist mit uns, der Barmherzigkeit im Übermaß schenkt – was ist eigentlich mit dem Jesus Christus, der sein Leiden annimmt und sein Kreuz trägt. Gehört der Kreuz tragende Christus, der Leidende, auch zu meinen Vorstellungen von Gott?
„Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst. Er nehme täglich sein Kreuz auf sich. So folge er mir nach!“