Die Predigt Seiner Seligkeit ist ausschließlich auf Englisch erschienen. Zur Erleichterung haben wir Ihnen eine inoffizielle Übersetzung in deutscher Sprache erstellt. Sie finden diese im Anschluss an den Link zum Originaltext und dem dazugehörigen Video, welches auf YouTube veröffentlicht wurde. Wir weisen aufgrund der KI-basierten Übersetzung ausdrücklich auf mögliche Fehler hin und verweisen auf den englischen Originaltext in der Anschluss.
Liebe Brüder und Schwestern,
der Herr schenke euch seinen Frieden.
Das Evangelium, das wir soeben gehört haben, beginnt mit nüchternen und präzisen Worten:
„In jenen Tagen erging ein Befehl des Kaisers Augustus, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen“ (Lk 2,1).
Lukas stellt die Geburt Jesu in den größeren Zusammenhang der Weltgeschichte, die von politischen Entscheidungen, Machtgleichgewichten und Logiken geprägt ist, die den Lauf der Ereignisse zu bestimmen scheinen. Wie damals ist auch die heutige Geschichte von Erlassen, politischen Entscheidungen und Machtverhältnissen gekennzeichnet, die oft das Schicksal ganzer Völker zu bestimmen scheinen. Das Heilige Land legt dafür ein beredtes Zeugnis ab: Die Entscheidungen der Mächtigen haben konkrete Auswirkungen auf das Leben von Millionen Menschen.
Weihnachten lädt uns jedoch ein, über die Logik der Herrschaft hinauszublicken und die Kraft der Liebe, der Solidarität und der Gerechtigkeit neu zu entdecken. Es ist kein zeitloses Märchen, sondern ein Ereignis, das sich ereignet, während die Geschichte ihren Weg geht – Wege, die wir nicht immer verstehen und oft nicht selbst wählen.
Der Beginn des Evangeliums ist kein bloßes erzählerisches Detail, sondern eine zutiefst theologische Entscheidung. Lukas, der Evangelist, sagt uns: Gott hat keine Angst vor der menschlichen Geschichte, selbst dann nicht, wenn sie verworren erscheint, von Ungerechtigkeit, Gewalt und Unterdrückung geprägt. Gott schafft keine Parallelgeschichte. Er tritt nicht erst dann in die Welt ein, wenn alles endlich geordnet und befriedet ist. Er tritt in die reale, konkrete, mitunter harte Geschichte ein und macht sie sich von innen her zu eigen.
Der Erlass des Kaisers scheint die Szene zu beherrschen: der Herrscher, der zählt, registriert, organisiert und lenkt. Alles scheint unter Kontrolle zu sein, alles folgt einer Logik der Macht, die anstelle der Menschen entscheidet. Und doch wird genau dieser Erlass – ohne dass der Kaiser es ahnt – zum Werkzeug eines größeren Plans. Dieselbe Geschichte, die sich für selbstgenügsam hält, wird zum Ort, an dem Gott seine Verheißung erfüllt. Das ist eine der großen Botschaften von Weihnachten: Gott wartet nicht, bis die Geschichte besser wird, um in sie einzutreten. Er tritt ein, während sie so ist, wie sie ist. So lehrt er uns, dass keine Zeit endgültig verloren und keine Situation zu dunkel ist, als dass Gott nicht in ihr wohnen könnte.
Darum beginnt das Evangelium nicht mit einem spektakulären Wunder, sondern mit einem Verwaltungsakt, nicht mit dem Gesang der Engel, sondern mit einer Volkszählung. Genau dort macht Gott sich uns nahe. Josef und Maria machen sich nicht auf den Weg aufgrund eines selbst gewählten Plans, sondern im Gehorsam gegenüber einer Anordnung von oben. Sie bewegen sich in einer Geschichte, die sie nicht kontrollieren, innerhalb von Entscheidungen, die anderswo getroffen werden. Und gerade durch diese Umstände hindurch, die scheinbar nichts mit der Verheißung zu tun haben, führt Gott sein Wort zur Erfüllung.
An Weihnachten kapituliert Gott nicht vor der Welt, so wie Christus an Ostern nicht vom Bösen besiegt wird. An Weihnachten liebt Gott die Welt bis in ihr Innerstes, umarmt sie und nimmt sie auf sich. Man könnte sagen: Indem Gott Mensch wird, „heiratet“ er die Wirklichkeit. Alles Menschliche hört für ihn nicht auf, würdig zu sein, bewohnt zu werden. Die Sünde hat zwar unsere Ähnlichkeit mit Gott entstellt, aber sie hat sein Bild in uns und in der Schöpfung nicht ausgelöscht. Darum bleibt die Welt gesegnet, auch wenn der Lobgesang auf ihre Schönheit sich in einen Ruf nach Erlösung verwandelt.
Der Ewige, der in die Zeit eintritt, hat sie mit Hoffnung und Zukunft erfüllt. Er hat den sterilen Kreislauf einer sich oft bitter wiederholenden Chronik durchbrochen und unser fragiles Leben, unsere schweren Momente, in Orte der Heilsgeschichte verwandelt. Von diesem Augenblick an ist Geschichte immer lebenswert, weil in sie ein unbesiegbarer Same des Friedens gelegt ist. Indem der Sohn Gottes als Neugeborenes kommt und den ganzen Weg des menschlichen Lebens von der Geburt bis zum Tod wählt, sagt er uns, dass es sich lohnt, Mensch zu sein – heute und immer –, weil das menschliche Leben, das das ewige Wort sich zu eigen gemacht hat, zum heiligen Ort geworden ist, an dem Gott weiterhin seine Wunder wirkt.
Die Geburt Jesu geschieht in der Nacht – nicht nur in der chronologischen Nacht, sondern in der Nacht der Menschheit: in einer Zeit der Begrenzung, der Unsicherheit, der Angst. Doch gerade in dieser Nacht wird Licht geschenkt. Ein Licht, das die Nacht nicht auslöscht, sondern die Dunkelheit überwindet, die sie begleitet. Gottes Licht blendet nicht und zwingt nicht, sondern erhellt den Weg und macht es möglich, weiterzugehen.
Im Bericht des Lukas tritt ein entscheidender Kontrast hervor: auf der einen Seite der Kaiser, der die Völker beherrscht, auf der anderen ein Kind, das ohne Macht geboren wird. Das Imperium erlässt Dekrete, Gott aber schenkt einen Sohn. Während die Geschichte der Logik der Gewalt folgt, handelt Gott still und erfüllt seine Verheißungen durch gewöhnliche Ereignisse.
Dieser Gegensatz soll uns nicht nur bewegen, sondern bekehren. Er zeigt uns, wie Gott in der Welt gegenwärtig sein will – und folglich auch, wie wir selbst in der Geschichte bleiben sollen. Weihnachten ist kein spiritueller Zufluchtsort, der uns den Mühen der Gegenwart entzieht. Weihnachten ist eine Schule der Verantwortung. Es lehrt uns, dass die Fülle der Zeit kein Ideal ist, auf das man warten muss, sondern eine Wirklichkeit, die man annehmen darf. Christus selbst erfüllt die Zeit. Er wartet nicht auf günstige Umstände: Er bewohnt und verwandelt sie.
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lk 2,14). Der von den Engeln verkündete Friede ist in diesem Licht zu verstehen. Er ist kein bloßes Gleichgewicht und nicht das Ergebnis zerbrechlicher Abkommen. Er ist die Frucht der Gegenwart Gottes in der Geschichte. Es ist ein Friede, der von oben kommt, sich aber nicht aufzwingt. Er wird geschenkt, aber auch anvertraut. Gott tut seinen Teil bis zum Ende: Er tritt in die Geschichte ein, wird Kind und teilt unsere Bedingung. Er ersetzt jedoch nicht die Freiheit des Menschen. Friede wird nur dann wirklich, wenn er Herzen findet, die bereit sind, ihn aufzunehmen, und Hände, die ihn behüten.
Darum legt uns Weihnachten eine große und reale Verantwortung auf. Jede Geste der Versöhnung, jedes Wort, das den Hass nicht nährt, jede Entscheidung, die die Würde des Anderen in den Mittelpunkt stellt, wird zum Ort, an dem Gottes Friede Fleisch annimmt. Weihnachten entfernt uns nicht von der Geschichte, sondern bindet uns tief in sie ein, damit wir nicht neutral bleiben, sondern Mitgestaltende werden.
Hier im Heiligen Land erklingt diese Wahrheit mit besonderer Kraft. Weihnachten in Bethlehem zu feiern heißt anzuerkennen, dass Gott ein konkretes Land gewählt hat, das von Wunden und Erwartungen geprägt ist. Die Heiligkeit der Orte besteht neben noch offenen Verletzungen. Wir kommen aus Jahren großer Not, in denen Krieg, Gewalt, Hunger und Zerstörung das Leben so vieler – vor allem der Kleinen – tief gezeichnet haben. Die Situation ist zu schwer geworden, die Beziehungen zu konfliktreich. Neu anzufangen und wieder aufzubauen ist äußerst mühsam. In diesen Jahren hat die Geschichte all ihre Widersprüche gezeigt, die Wirklichkeit ist uns mit ihrer schweren, komplizierten und traurigen Seite begegnet. Doch was für uns konkrete und schmerzliche Erfahrung ist, wird auch anderswo in der Welt empfunden. Es gibt eine weit verbreitete Flucht aus der Wirklichkeit: Man entzieht sich zu schweren Verantwortungen, zieht sich vom Einsatz für das Gemeinwohl in private Interessen zurück, flieht vor zu anspruchsvollen Bindungen und sucht Zerstreuung – in einem Klima allgemeiner Entfremdung. Überall spürt man große Unruhe, manchmal sogar geistlicher Art, unfähig, all diese Gewalt und die Kultur, die sie nährt oder ignoriert, zu verstehen.
Die schwierigen Situationen unserer Zeit sind nicht Schicksal, sondern Ergebnis politischer Entscheidungen, menschlicher Verantwortung und von Beschlüssen, die oft die Interessen weniger über das Wohl aller stellen. Das Heilige Land, ein Kreuzungspunkt von Völkern und Glaubensrichtungen, bleibt ein Schauplatz von Spannungen und Konflikten, die die Verantwortung lokaler Führer, der internationalen Gemeinschaft, aber auch religiöser und moralischer Autoritäten in Frage stellen.
In unserer ganzen Diözese standen und stehen wir vor großen Herausforderungen. Trotz des Endes des Krieges ist das Leiden in Gaza weiterhin präsent, Familien leben in Trümmern, und die Zukunft erscheint fragil und unsicher. Die Wunden sind tief, und doch klingt auch hier die Botschaft von Weihnachten. Bei meinen Begegnungen war ich beeindruckt von ihrer Stärke und ihrem Wunsch, neu zu beginnen, von ihrer Fähigkeit, sich wieder zu freuen, und von ihrer Entschlossenheit, zerstörte Leben von Grund auf neu aufzubauen. Ich glaube, sie erleben gerade ihr ganz eigenes, besonderes Weihnachten von Neugeburt und Leben. Sie sind für uns heute ein schönes Zeugnis. Sie erinnern uns daran, wie auch wir in unserer Geschichte stehen sollen. Sie fordern uns heraus, entschieden Wege der Gerechtigkeit und Versöhnung einzufordern, die den Schrei der Armen hören, damit Friede nicht nur ein Traum bleibt, sondern eine konkrete Verpflichtung und Verantwortung für alle wird.
„In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde“ (Lk 2,8). Dieser universale Ruf bekommt im Evangelium sofort ein konkretes Gesicht: Nach der Geburt Jesu wendet sich der Blick von den Mächtigen der Geschichte zu den Hirten auf den Feldern – einfachen, oft unsichtbaren Menschen, die das alltägliche Leben und die tägliche Mühe verkörpern. Gott offenbart sich nicht den Privilegierten, sondern den Suchenden; nicht denen, die besitzen, sondern denen, die wachen und die Last des Alltags tragen.
Hier und jetzt sind wir alle gerufen, Erstlinge des kommenden Reiches zu sein – nicht anderswo, nicht in einer idealen Zeit. Hier, indem wir mutig die Herausforderungen eines oft schwierigen Zusammenlebens und eines langsamen, mühsamen Wiederaufbaus annehmen, werden wir vom Vater mit dem Sohn in der Kraft des Geistes gesandt, um Trümmer zu reparieren, Hoffnung wiederherzustellen und Leben weiterzugeben. Wie Josef und Maria sind wir eingeladen, mit Vertrauen in unsere Wirklichkeit zurückzukehren, im Wissen, dass Gott uns auf unserem Weg vorausgeht.
Liebe Brüder und Schwestern,
die Geschichte ändert sich nicht über Nacht. Aber sie kann die Richtung wechseln, wenn Männer und Frauen sich von einem Licht erleuchten lassen, das größer ist als sie selbst. Das Evangelium dieser Nacht fordert auch uns heraus, die wir aus verschiedenen Ländern, Kulturen und Geschichten hier versammelt sind. Es fordert uns auf, nicht neutral zu bleiben, nicht vor der Komplexität der Gegenwart zu fliehen, sondern sie im Licht des Kindes zu durchschreiten. Die Nacht der Welt mag tief sein, aber sie ist nicht endgültig. Das Licht von Bethlehem blendet uns nicht, sondern weist uns den Weg. Es breitet sich von Herz zu Herz aus – durch demütige Gesten, versöhnte Worte, tägliche Entscheidungen für den Frieden von Frauen und Männern, die das Evangelium in ihrem Leben Fleisch werden lassen.
In dieser heiligen Nacht verkündet die Kirche, dass die Hoffnung nicht enttäuscht worden ist. Gott ist in unsere Geschichte eingetreten und ist nicht fortgegangen. Er hat sich entschieden, die menschliche Zeit zu bewohnen, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt, kein Leben verworfen wird und keine Nacht ohne Licht bleibt.
Möge das in Bethlehem geborene Kind dieses Land und alle seine Völker segnen. Möge es jede Familie in Not, jedes verletzte Kind, jeden Mann und jede Frau segnen, die unter der Last der Gegenwart müde geworden sind.
In dieser heiligen Nacht rufen wir mit Freude:
Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Dem Gott, der uns nahe geworden ist, der die Armut der Krippe gewählt hat, um unsere Geschichte zu bewohnen, sei Ehre in alle Ewigkeit.
Gesegnete Weihnachten euch allen, dem Heiligen Land, der Kirche und der ganzen Welt.
Amen.
+ Pierbattista Kardinal Pizzaballa
Lateinischer Patriarch von Jerusalem
