Gemeinsamer Abend mit dem Lateinischen Patriarchen von Jerusalem in St. Georgen in Frankfurt am Main
Eine Bescherung der besonderen Art wurde den Mitgliedern der Deutschen Statthalterei des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem am Abend des 6. Dezember 2024 in der Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt zuteil.
Abschluss der Deutschlandreise
Es war der ausdrückliche Wunsch Seiner Seligkeit Pierbattista Kardinal Pizzaballa, am Vorabend seiner Rückreise ins Heilige Land eine Messe mit den Rittern und Damen unseres Ordens zu feiern und anschließend Gelegenheit zum Austausch zu geben. Zu diesem besonderen Ereignis hatte der Präsident der Ordensprovinz Rhein-Main, Cfr. Erwin Waider, neben Bistumsvertretern aus Limburg, Fulda, Mainz, Speyer, Trier und Hildesheim und Vertretern der Stadtkirche Frankfurt sowie der Theologischen Hochschule St. Georgen auch Ordensmitglieder der Malteser und Johanniter sowie des Deutschordens eingeladen.
Da wurden ihre Augen geöffnet (Mt 9,30)
Die Messtexte am Abend des Festtages des Heiligen Nikolaus von Myra stellten das Licht in den Mittelpunkt, nach dem sich Menschen in der Dunkelheit sehnen, ein Motiv, das Seiner Seligkeit Pierbattista Kardinal Pizzaballa auch sogleich in seiner Predigt aufgriff. Ausgehend vom Evangeliums-Text der Blindenheilung (Mt 9,27-30) verwies er in seiner Homilie auf die Kernfrage Jesu „Glaubt ihr, dass ich dies tun kann?“. Diese Frage verknüpfte der Patriarch von Jerusalem mit dem Hinweis, dass die beiden von Geburt an Blinden gar keine Vorstellung davon haben konnten, um was sie da baten, und trotzdem vertrauten sie ganz auf den Herrn. Diese Haltung – so Pizzaballa – sei entscheidend: Licht kann man nur im Dunkeln sehen, nur dann, wenn man darauf wartet und nur dann, wenn man bereit ist, auch hinzusehen. Übertragen auf die Situation im Heiligen Land sei es diese Erwartungshaltung, auf die es jetzt ankomme. Niemand sei derzeit in der Lage, eine Lösungsperspektive für die so festgefahrene Situation zu entwickeln, umso wichtiger sei der feste Glaube daran, dass Heilung – im Vertrauen auf Gott – gelingen kann.
Lagebericht
Zum anschließenden Vortrag begrüßte der Präsident der Ordensprovinz Cfr. Waider alle Anwesenden sowie als Ehrengäste den Rektor der Hochschule P. Axel Bödefeld SJ, den Ehrenstatthalter der Deutschen Statthalterei, Cfr. Dr. Detlef Brümmer, sowie die Vorsitzende der Heilig-Land-Kommission, Csr. Cornelia Kimberger, die ihrerseits bereits zum Abschluss der Messe Grußworte an den Patriarchen gerichtet hatte.
Seinen Bericht zur Lage im Heiligen Land eröffnete Seine Seligkeit. Pierbattista Kardinal Pizzaballa mit der Feststellung, dass die derzeitige Auseinandersetzung nicht der erste Krieg im Heiligen Land sei, der 4. Oktober 2023 aber einen Wendepunkt darstelle, der die aktuelle Zeitrechnung in ein „davor“ und „danach“ einteile. Auf der israelischen Seite habe sich dieses Datum als offene Wunde ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, denn diese „kleine Shoa“ habe nicht im weit entfernten Europa stattgefunden, sondern auf Heimatboden, der als Schutzraum für jüdisches Leben erschaffen wurde. Für die Palästinenser sei die als Reaktion Israels erfolgte totale Zerstörung des Gaza-Streifens mit hunderttausenden Toten und Verletzten ein absolutes Desaster und die Furcht vor dem endgültigen Verlust einer palästinensischen Heimat allgegenwärtig. Vor diesem Hintergrund sei es zu verstehen, dass dieser Konflikt von beiden Seiten als existenzbedrohender Krieg wahrgenommen wird, der keinen Raum lässt, über mögliche Lösungen zu sprechen, sondern einzig das Demonstrieren von (militärischer) Stärke die alleinige Option zu sein scheint. Dementsprechend „entmenschlicht“ sei auch die Sprache der Konfliktparteien, deren Narrative völlig konträr zueinanderstehen und nicht einmal ein Sprechen übereinander – geschweige denn miteinander – zulassen.
Situation in Gaza
Die Situation in Gaza beschrieb der Patriarch als desaströs: über 80% der Gebäude und Infrastruktur sei zerstört, die zum Großteil geflüchteten Menschen lebten in Zelten oder beschädigten Häusern, es gebe kein Wasser, dafür Berge von Müll und die hygienischen Zustände seine furchtbar. Ein einziges Krankenhaus ist noch in Betrieb, die meisten Schulen sind zerstört oder werden als Notunterkunft genutzt. Die Belieferung mit dem Allernotwendigsten für die Menschen sei mehr als schwierig, wenn auch durch die guten Kontakte des Patriarchats wenigstens ansatzweise möglich. Für die christliche Gemeinschaft vor Ort sei die dadurch gegebene Möglichkeit, auch andern zu helfen, wichtige Hilfe zur Selbsthilfe. Beeindruckend empfinde man auch, dass die Menschen sich weniger um Essen und Medizin als um die (fehlende) schulischer Bildung ihrer Kinder sorgen. Auch hier versuche man seitens des Patriarchats, wenigstens Platz für Kinder und Lehrer zu organisieren.
Situation in der Westbank
Ähnlich besorgniserregend – so Kardinal Pizzaballa – sei die Situation in der in mittlerweile in 3 Teile geteilten Westbank. Täglich würden dort 3-4 Menschen Opfer von gewalttätigen Auseinandersetzungen oder Bandenkriminalität, ohne dass dies von medialem Interesse wäre – ein Umstand, der viele Palästinenser fragen lässt, ob menschliches Leben in der Westbank weniger Wert sei als in Gaza. Bedrückend sei auch, dass oft gerade christliche Palästinenser Ziel der Gewalt würden, da sie aufgrund ihrer friedfertigen Religiosität und Waffenlosigkeit als leichte Beute gelten.
Umdenken nötig
In all diese Dunkelheit stellte Seine Seligkeit die Frage nach Hoffnung und Lösungen in den Raum – und erteilte all jenen, die nun auf Antworten hofften, eine klare Absage: Derzeit sei keinerlei Perspektive zu erkennen. Man brauche neue Gesichter und neue Visionen, ohne die kein Zusammenleben der Konfliktparteien, kein Neuanfang möglich erscheine.
Licht kann man nur sehen, wenn man darauf wartet und hinschaut.
Die erneut in den Raum gestellte Frage nach Hoffnung in dieser schier aussichtslosen Situation beantwortete der Kardinal nun im Bogenschlag zur Predigt der vorangegangenen Eucharistiefeier: Hoffnung sei eine Haltung des Herzens! Hoffnung gebe es nur langfristig, aber sie existiere. Umdenken erfordere Zeit und erst, wenn die Kriegshandlungen schweigen, könne man über einen Neuanfang nachdenken.
Es ist nicht die Zeit, Dinge zu tun, sondern sie vorzubereiten.
Gerade an diesem Punkt käme den Christen im Heiligen Land eine wichtige Rolle zu, da sie – anders als Juden und Palästinenser – keine politische Agenda verfolgen und somit keine Bedrohung darstellen. Sie seien als Moderator in Gesprächen unverzichtbar, die ohne ihre Anwesenheit niemals zustande kämen. Dabei betonte Pizzaballa unmissverständlich, dass die Haltung der Christen niemals als „neutral“ einzustufen sei:
„Wir sind mit denen, die leiden!“
Zum Abschluss seiner Ausführungen bat der Patriarch die Anwesenden nicht allein um spirituelle und materielle Solidarität, sondern vor allem um Unterstützung im Gebet. Gebete könnten – so Seine Seligkeit – zwar nicht unmittelbar politische Strukturen ändern, aber sie können Herzen bewegen und Verbindungen knüpfen. Ebenso wichtig sei die Rückkehr der Pilger ins Heilige Land sowie die gezielte Unterstützung von Projekten des lateinischen Patriarchats, um palästinischen Familien wieder Hoffnung zu geben.