Die ostdeutsche Provinz des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem hat ihre jährlichen Besinnungs- und Einkehrtage unter dem Leitwort „Spannkraft der Seele – Der geistliche Weg des Johannes Cassian“ in Erfurt vom 01.- 03.03.2024 abgehalten.

Der Auftakt

Der Freitagabend war der Kapitelsitzung der Ordensprovinz und organisatorischen Fragen gewidmet.  Insbesondere die Herausforderungen der Ordensprovinz Ostdeutschland der nächsten Zeit wurden erörtert – Katholikentag in Erfurt 2024 und Investitur in Magdeburg 2025 – und es wurde ein weiteres Zusammenrücken und eine noch engere Zusammenarbeit den Komtureien der Ordensprovinz Ostdeutschland ins Auge gefasst.

Die geistige Welt des Johannes Casssian

Im Mittelpunkt stand jedoch der gesamte Samstag, der unter Leitung des Spirituals Cfr. Dr. Matthias Harmann (Erfurt), der die Damen und Ritter in die geistige Welt des Johannes Casssian einführte. Cassian gilt als Grenzgänger zwischen dem griechischen und lateinischen Christentum im vierten Jahrhundert, der viele Jahre mit den Mönchen und Wüstenvätern in Ägypten lebte und deren Lebens- und Glaubensweisheiten in den Collationes Patrum (Unterredung mit den Vätern) dem Westen des Römischen Reiches bekannt machte. Für Ordensgründer wie Benedikt und Ignatius von Loyola waren seine Gedanken noch Jahrhunderte später grundlegend.

Struktur und Ordnung

Kernpunkt seiner Spiritualität ist Struktur und Ordnung des geistlichen Lebens hin auf das Lebensziel des Menschen. „Zielklarheit“ und „Unterscheidung“ sind damit grundlegende Elemente. Cassian unterscheidet „Fernziel“ und „Nahziel“. Fernziel und Endzweck des menschlichen Lebens ist das Reich Gottes – die Gottesschau, das Sein bei Gott. Nahziel ist die „Reinheit des Herzens“ – die Liebe. Wenn der Mensch dieses Nahziel unbeirrbar im Blick hat, läuft er wie auf einer Zielgeraden auf Gott zu. Auf dieses Nahziel müssen wir uns als Menschen daher konzentrieren und die ganze „Spannkraft der Seele“ muss darauf ausgerichtet sein, von diesem Weg nicht abzuweichen.

Freiheit

Dies ist nur möglich, wenn wir frei sind. Dies setzt einerseits äußere Freiheit voraus, so wie das Volk Israel im Exodus aus dem „Sklavenhaus“ Ägypten von Gott herausgeführt wurde. Aber auch wir heutigen Menschen sind nach Paulus in Christus zur Freiheit berufen.

Andererseits ist auch innere Freiheit notwendig, verstanden als das Freiwerden für das Wesentliche, das Abwerfen von (weltlichem) Ballast (Anachorese) und Freiwerden von Aufregung, die Voraussetzung dafür sind, sich mit ganzem Herzen für etwas Wichtiges einzusetzen und vom Weg und dem Nahziel – Reinheit des Herzens – nicht abzuweichen.

Die drei „Absagen“

Hiermit sind nach Cassian drei „Absagen“ verbunden, die harte Forderungen beinhalten: Absage an die materiellen Werte dieser Welt, Absage an schlechte Gewohnheiten und Laster und Absage an eine Überbewertung des Gegenwärtigen und Sichtbaren. Das bedeutet, dass Reichtum, Würde, Freunde, ja sogar Familie hierbei je nach Berufung relativiert werden und zurückstehen müssen. Freiheit ist anstrengend und mühsam. Das hat auch das Volk Israel gespürt, als es sich in der Wüste nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“ sehnte, obwohl sie es als „Sklavenhaus“ unter der Führung von Mose verlassen hatten.

Die drei Arten der Berufung

Cassian unterscheidet drei Arten von Berufung – die unmittelbare Berufung durch Gott, die Berufung durch das Vorbild anderer Menschen (Heilige) und die Berufung durch Notsituationen. Letztere hat das Volk Israel in seiner Geschichte häufiger erfahren (müssen).

Berufung wird hier verstanden als Ruf zu einem bestimmten Lebensweg. Das kann „große“ Dinge umfassen wie die Berufung zum Priester oder die Ausübung einer Tätigkeit nicht nur als Erwerbsgrundlage, sondern als einen echten „Beruf“, aber auch „kleinere“ Berufungen, wie die Berufung, sich in bestimmten Lebenssituationen besonders um kranke Angehörige oder Freunde zu kümmern oder die Berufung in geistliche Gemeinschaften wie den Ritterorden.

Auf die Seele wirken somit sowohl viele äußere Dinge, Umstände und Entwicklungen ein, als auch innere Regungen wie Gedanken, Ideen, Empfindungen und Gefühle. An die Spannkraft der Seele werden somit hohe Anforderungen gestellt, da das Leben mit all seinen Facetten auf den Menschen heftig einstürmt – von innen wie von außen.

Die Unterscheidung

All dies muss geordnet und strukturiert werden hin auf die verschiedenen Ziele im Leben des Menschen und – vor allem – das Lebensziel des Menschen. Die Art und Weise, in der dies geschieht, ist die Unterscheidung (Discretio). Sie ist ein Grundprinzip christlichen Lebens und eine wichtige Tugend. Es ist ein intellektueller, reflektiver und – zumindest nach Ignatius -auch ein emotionaler Prozess, der in drei Phasen abläuft: Unterscheidung, d.h. bestimmen, was ist, in Beziehung zueinander setzen, was übereinstimmt und was verschieden ist, Entscheidung, d.h. sich festlegen und entschieden sein, d.h. beim Entschiedenen auf der Zeitschiene bleiben, auch wenn es Widerstand gibt.

Die verschiedenen Dimensionen

Dieser Prozess hat eine menschliche und eine geistliche Dimension. Die Unterscheidung (der Geister) ist Teil der paulinischen und johanneischen Theologie, die insbesondere auch vom Heiligen Ignatius mit seinen Exerzitien besonders weiterentwickelt worden ist.

Es kommt in diesem Zusammenhang nicht nur darauf an, ob bestimmte „Geister“, d.h. bestimmte Gedanken und Gefühlsregungen von Gott kommen, sondern auch, wie sie zu ihm hinführen und welche Art der Berufung Gott für uns vorsieht. Bei einem Mönch oder Wüstenvater werden die Art der Berufung und der Grad sowie die Gewichtung der „Absagen“ zueinander anders sein als bei einem verheirateten Künstler, einer Religionslehrerin, einer Ärztin oder bei einem Politiker, die als Soror oder Confrater Mitglieder des Ritterordens sind.

Gott lässt uns nicht allein

Entscheidend ist, dass Gott uns bei diesem Unterscheidungsprozess nicht allein lässt. Paulus nennt die Unterscheidung eine Gnadengabe, d.h. Gott steht uns Menschen bei diesem Prozess zur Seite. Die Freiheit des Menschen bleibt hiervon aber unberührt. Dieser Prozess der Discretio ist auch kein einmaliger Prozess, sondern die Seele des Menschen muss ihre Spannkraft immer und immer wieder in verschiedenen Lebenssituationen sammeln und darauf ausrichten, uns auf den Weg der Reinheit des Herzens und der Liebe und damit auf den Weg zum Reich Gottes zurückzuführen. Hier sind Ausdauer und Beharrlichkeit – ebenfalls christliche Tugenden – gefragt, da es keine schnellen und einfachen Lösungen gibt.

Auch im Ritterorden sind wir immer wieder dazu aufgerufen, zu unterscheiden, zu entscheiden und entschieden zu bleiben in Bezug auf unsere Berufung als Dame oder Ritter und unsere sonstigen Berufungen im Leben und den damit verbundenen Absagen. Aber auch hier bleibt unter- und entscheidend – Irrwege vermeiden und auf dem richtigen Weg bleiben.

(c) oessh.net / Norman Gebauer
OESSH Deutsche Statthalterei

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