„Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres.“ Ez 36,26a

Palmsonntag als Tor in die Heilige Woche

Am Palmsonntag treten wir ein in die Heilige Woche. Das biblische Leitwort unseres Ordens für das Jahr 2024 bekommt in dieser Woche eine besondere Bedeutung: Das Leitwort ist der siebten Lesung der Osternachtfeier entnommen. Auf diese Feier bereiten wir uns in diesen Tagen geistlich vor.

Gotteskrise

Ezechiel – Sohn eines Priesters am Jerusalemer Tempel – ist um das Jahr 597 vor Christus gemeinsam mit der Jerusalemer Oberschicht nach Babylon deportiert worden. König Jojachin hatte in Jerusalem vor den Truppen des babylonischen Großkönigs Nebukadnezzar kapitulieren müssen. Zwar wurde die Stadt nicht zerstört, aber die landbesitzende Oberschicht und Facharbeiter wurden nach Babylon deportiert. Zehn Jahre später kam es zu weiteren Deportationen. Dabei kam es zur Katastrophe: Der Tempel wurde niedergebrannt. Die Botschaft Nebukadnezzars war klar: Der babylonische Gott Marduk hatte dem Gott Israels und seiner Wohnstatt ein Ende bereitet. Nicht nur das Volk Gottes befindet sich in einer misslichen Lage, vielmehr geht es um die Glaubwürdigkeit Gottes. Die sichtbare Situation des Gottesvolkes „beweist“ den anderen Völkern die Ohnmacht des Gottes Israels. Die Krise des Gottesvolkes ist eine Gotteskrise.

Das Wirken des Propheten Ezechiel

Der Prophet Ezechiel wirkte unter den Verschleppten in Babylonien. Er erinnert daran, dass Gott es mit seinem Volk ganz anders vorhatte. Israels Gemeinschaft mit Gott und die Heiligung seines Namens durch treue Erfüllung seines Willens sollten weltweit Zeugnis geben für die Leben schaffende Kraft der Erwählung und damit Gotteserkenntnis in allen Völkern begründen. Anhand des Lebens des Gottesvolkes sollten alle Völker den wahren Gott erkennen können. Und nun ist es ganz anders gekommen.

In dieser Situation musste Ezechiel den Verschleppten die Hoffnung nehmen, dass sie bald wieder nach Jerusalem zurückkehren könnten. Er stellte aber Gottes eingreifendes Handeln und die Wiederherstellung des Volkes in Aussicht.

Die Texte des Ezechielbuches versuchen zu ergründen: Wie konnte es zur Deportation und zur Zerstörung des Tempels kommen? Die Übermacht Marduks anzuerkennen war keine Lösung. Das Buch sucht eine Antwort durch die Aufarbeitung der Vergangenheit. Ezechiel stellt nüchtern fest: Die Ursache der Katastrophe liegt in der Schuld Israels. Gott ist weder schwach noch ein Willkürgott. Wenn Israel das Gericht getroffen hat, dann deshalb, weil es sich dem heilbringenden Wort Gottes verweigert hat und immer noch nicht bereit ist, zu seiner Verantwortung zu stehen.

Der Prophet stellt die Frage: Wie soll Heil möglich sein? Ein erster Schritt: Anerkenntnis der Schuld. Aber ein Schuldbekenntnis reicht nicht; notwendig ist die volle Akzeptanz der „frohen Botschaft“ von Gottes Gerechtigkeit. Sie eröffnet Hoffnung inmitten scheinbarer Hoffnungslosigkeit. Da Israel nicht in der Lage ist, den ersten Schritt zu tun, ist Gott derjenige, der handelt. Es geht um Neuschöpfung.

Zur siebten Lesung in der Osternacht:

Der Lesungstext aus dem Prophetenbuch Ezechiel verheißt: In dieser Situation handelt Gott. Er stellt die Beziehung zwischen ihm und seinem Volk auf eine neue Basis. Um des heiligen Namens Gottes wegen heiligt er seinen entweihten Namen, damit die Völker ihn erkennen können. Dies bedeutet auch eine Rettungsperspektive für das Volk Gottes. Es geht um drei Schritte:

  • Gott erweist sich als Befreier wie beim Exodus: Israel wird aus der Gewalt der Völker befreit, aus der Zerstreuung gesammelt und in sein Land gebracht.
  • Israel wird kultisch gereinigt.
  • Es kommt zur Neuschöpfung des Gottesvolkes: Gott gibt ihm ein neues Herz und einen neuen Geist. Gott gibt seinen Geist in das Innere der Israeliten.

Herz und Geist stehen für das Willens- und Aktionszentrum des Menschen. Der Prophet Ezechiel macht deutlich: Gott kommt seinem Volk nahe und verwandelt es in seinem Innersten, so dass er selber zur alles bestimmenden Mitte seines Volkes wird. Das alles geschieht ohne jegliche Gewalt! Selbst in der Entfremdung, im Exil, ist Gott seinem Volk zuinnerst nahe. In Babylon bekommt Israel durch die Propheten einen neuen Herzenszugang zum Bund Gottes mit seinem Volk. Erinnert sei an ein Wort aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien (Gal 2,20a): „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“.

Heute

Wir lesen den Text aus dem Prophetenbuch heute als Christinnen und Christen. Die Kirche ist gleichsam in die Zerstreuung deportiert. Manchen Menschen wird der Glaube an Gott erschwert oder sogar verunmöglicht, weil es in der Kirche auch schuldhaftes Verhalten gegeben hat und gibt. Dass die Kirche ein Sakrament ist, in der die Gegenwart Gottes aufleuchtet, und dass sie für Gott ein Werkzeug des Friedens ist, ist für viele nicht einsichtig. In dieser Situation können wir uns am Buch Ezechiel orientieren: Schuld bekennen und aufarbeiten – auf Gott vertrauen, der auch in dieser Situation treu ist – das Leitwort als Trostwort lesen: Auch unsere Zeit ist Gottes Zeit mit uns. Gott handelt, er erneuert, er ist treu – auch in „Babylon“.

In der Osternacht werde ich in der Gemeinschaft der Glaubenden das Taufversprechen erneuern. Ich sage dem Bösen ab, um in der Freiheit der Kinder Gottes leben zu können und bekenne mein Gottvertrauen: Gott ist größer als ich es mir vorstellen kann und bleibt mir manchmal auch unbegreiflich. Er hat sich in Jesus Christus erniedrigt und ist bei den Opfern der Geschichte zu finden – Gott hat Jesus aus dem Tod gerufen und diesen Weg der Liebe bestätigt. Und Gott ruft uns, in der Spur Jesu zu gehen – in der Geisteskraft Gottes. Er schenkt seinen Geist in unser Inneres.

Manche von uns sind es vielleicht weniger gewohnt, über alttestamentliche Texte zu meditieren und zu sprechen. Aber: „Beim Wein schmeckt man den Boden“. Beim Trinken des kostbaren Weins der Botschaft Jesu schmecke ich den Boden (die frohe Botschaft des erstbundlichen Gottesvolkes) mit. Ich darf mich neben die von Jesus Christus in die Nachfolge gerufenen Personen stellen: Petrus, Paulus, Maria Magdalena … Mit ihnen lese ich und bedenke ich die Worte der Heiligen Schriften und suche Gott zu erkennen. So darf ich lesen:

„Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres.“

OESSH Deutsche Statthalterei

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