Streitigkeiten wühlen auf, Emotionen kochen hoch, Gehässigkeit reit sich an Gehässigkeit.
Sabine Naegeli (Evangelische Theologin und Psychologische Beraterin) drückt das sehr emotional in folgendem Text aus:
„Diesem Menschen vergeben,
nein, Herr, das vermag ich nicht.
Zu schwer trage ich an der Zerstörung,
die er angerichtet hat in mir.
Nie wird er mich um Verzeihung bitten
in seiner Selbstgerechtigkeit.
Ich bin nicht nur zornig,
nein, ich hasse ihn.
Was er mir angetan hat, ist unverzeihlich.
Im Grunde meines Herzens weiß ich,
dass ich mit meiner Unversöhnlichkeit
den Schaden nur noch größer mache,
denn Hass vergiftet die Seele.
Wo der Hass wohnt,
kann dein Geist nicht sein.
Herr, ich bitte dich,
befreie mich von der Unfähigkeit
zu vergeben.
Mach mich bereit und fähig,
zu sehen, dass das Böse
auch in meinem Herzen wohnt
und dass wir alle davon leben,
dass du uns immer wieder
einen neuen Anfang schenkst.“
Sabine Naegeli kommentiert ihr Gebet mit dem Titel „Im Ringen um Verzeihenkönnen“:
„Meine Unfähigkeit zu vergeben
macht offenbar,
dass die Wunde, die mir zugefügt wurde,
nicht geheilt ist.
Wenn ich bereit bin,
mein Verletztes von Gott heilen zu lassen,
dann steht der Weg
zum Vergebenkönnen
offen.“
Sechs Schritte im Versöhnungsprozess
In der Fastenzeit bietet es sich an, den Weg der Versöhnung bewusst einzuschlagen. Dazu lade ich Sie ein und schlage sechs Schritte der Versöhnung vor. Dabei habe ich mich inspirieren lassen von der Spiritualität der Jesuiten.
Ein erster Schritt: Erkennen, dass ich in vielen Dingen unversöhnlich bin.
In der Regel will ich die liegen gebliebenen Konfliktanteile in mir nicht mehr anfassen. Sich mit verfahrenen Situationen auseinanderzusetzen und sich mit schwierigen Menschen zu befassen, das kostet Überwindung und Kraft. „Das lasse ich lieber bleiben.“ „Ich tue so, als wäre nichts gewesen.“
Die Einsicht, dass es Unversöhntes in mir gibt, heißt auch Abschied zu nehmen von der fixen Idee, dass es in meinem Leben keine Probleme gibt und alles glatt läuft.
Wichtig ist also die Erkenntnis: Es schlummert einiges an Konfliktpotential in mir.
Ein zweiter Schritt: Mit Unversöhntem in Kontakt bleiben und mich Gott zuwenden.
Nachdem ich die Realität meiner konfliktgesäumten Lebensgeschichte aufgreife, versuche ich die unguten Erinnerungen und schmerzlichen Gefühle, die damit verbunden sind, stärker ins Bewusstsein zu integrieren. Ich bleibe in Tuchfühlung mit diesen kränkenden Vorkommnissen, verliere mich aber nicht in starken Emotionen.
Und dann der entscheidende spirituelle Tipp: “Ich bringe mich mit all den unangenehmen, unerlösten und schmerzlichen Gefühlen in die heilende Gegenwart Gottes und verbinde mich mit seiner erlösenden Kraft.“
Ein dritter Schritt: Fehler nehmen dem Menschen nicht seine Würde.
Wenn uns jemand verletzt oder tief enttäuscht hat, reagieren wir oft damit, dass wir diese Person nicht mehr achten und stattdessen verteufeln. Ich nehme einen Menschen, der mir Unrecht zugefügt oder mich gekränkt hat, nur noch als Zerrbild wahr.
Ich muss mir klarmachen, dass er sich in einer bestimmten Situation völlig falsch verhalten hat oder seine Worte deplatziert waren. Dennoch behält er als Person Ansehen und Würde, auch wenn ich das momentan in Frage stelle.
Ein vierter Schritt: Ehrlichsein zu sich selber und die Absicht, sich versöhnlich zu zeigen.
„Ich möchte Dir zwar verzeihen, bin innerlich aber nicht so weit!“ Es genügt ein Wort, das die Bereitschaft zur Versöhnung signalisiert. Auch wenn ich ehrlicherweise noch weit davon entfernt bin, einen Schlussstrich zu ziehen. Dieser erste Versuch, dieser guter Wille im Ansatz, ist für den Prozess der Versöhnung bedeutsam. Im Nachdenken und im Gebet wird diese Einstellung wachsen.
Fünfter Schritt: Gefühle zulassen und ernst nehmen.
Bei aller guten Absicht empfinde ich weiter Wut und Enttäuschung. „Diese Gefühle müssen wir nicht verändern. Sie dürfen so sein, wie sie sind. Wir lassen sie zu, wir lassen es schmerzen und durchleiden sie in Verbindung mit der heilenden Gegenwart Gottes, der diese Wunden in uns heilen und uns damit aussöhnen möchte. Der so zugelassene Schmerz ist schon die Medizin für die Heilung dieses Schmerzes.“
Sechster Schritt:
„In Christus versöhnt und getröstet“.
Das ist das Ziel dieses Versöhnungsprozesses. Er kennt auch meine Schattenseiten und will sie ins Licht bringen. Er stimmt mich versöhnlich.
„Die Erfahrung, von Christus verstanden und angenommen zu sein, den Trost in seiner Nähe und seines Mitgefühls gerade in den verletzten und noch unversöhnten Seiten unseres Lebens zu empfinden und in seiner Zuwendung heil zu werden, ist ein Kernpunkt der Spiritualität der Jesuiten.“
Wie Versöhnung im konkreten Leben geschieht, sagt uns noch einmal anders der Würzburger Domvikar Paul Weismantel:
„Versöhnung geschieht, wo ich mich meinen
wunden Punkten stelle und meine Kränkungen
in das heilende Licht der Wahrheit bringe.Versöhnung geschieht, wo ich bereit bin,
sie von Gott zu erbitten und zu empfangen,
um sie mir selbst und anderen schenken zu lassen.Versöhnung geschieht, wo ich anfange für
einen Menschen zu beten, der mir Unrecht
getan oder mich zutiefst verletzt hat.
Versöhnung geschieht, wo ich nicht mehr
Gleiches mit Gleichem vergelten muss,
sondern frei geworden bin, einfach gut zu sein.
Versöhnung geschieht, wo ich dunkle
Kapitel meiner Lebensgeschichte gelten lasse
und sie betend bewältige.
Versöhnung geschieht, wenn auch Narben bleiben,
wo ich den Neuanfang wage,
den Gott mir ermöglicht und zutraut.“
Domkapitular Reinhard Kürzinger, Prior der Komturei St. Willibald, Eichstätt