„Bitte gut zuhören“
In jeder Osternacht hören wir die neutestamentliche Lesung aus dem Römerbrief (Röm 6,3-11). Dieser Text hat es im Rahmen der Feiergestalt nicht leicht. Für Hörerinnen und Hörer ist dieser Text sprachlich schwierig zu verfolgen. Und zuvor hat die Gemeinde bereits Lesungen aufgenommen, die mit eindrucksvollen Bildern und in erzählerischer Form davon berichten, dass Gott schon von Anfang an aller Finsternis und allem Chaos entgegentritt, dass er sein Volk aus tödlicher Bedrohung rettet und aus der Unterdrückung in die Freiheit führt, dass Gott seine „erste Liebe“ nicht verlässt …
Wenn dann in der Osternacht die Lesung aus dem Römerbrief vorgetragen wird, sage ich mir selber: Bitte gut zuhören.
Durch Tod und Auferstehung Jesu hat Gott die Welt versöhnt.
Der gesprochene Text aus dem Römerbrief erscheint zunächst „blass“, zumal die Gemeinde vorher mit Orgelgebrause, mit Glocken und mit Schellen feierlich das Gloria gesungen hat, und unmittelbar nach dem Lesungstext das österliche Halleluja alle emotionale Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Botschaft der neutestamentlichen Lesung – auch wenn sie schlicht vorgetragen wird – hat es verdient, dass wir gut hören, da sie das ganze Heilsgeschehen, das wir in der Osternacht feiern, deutend zusammenfasst. Paulus erinnert an die Geschichte Gottes mit seinem Volk als Rettungsgeschehen und deutet das Erlösungshandeln Jesu als Höhepunkt des Heilshandeln: Durch Tod und Auferstehung Jesu hat Gott die Welt versöhnt. An diesem Handeln Gottes haben wir durch die Taufe Anteil erhalten. Die Taufe taucht den Menschen in die Wirklichkeit des Todes ein und holt ihn heraus aus dem Wasser in das unvergängliche Leben.
Diese Botschaft ist so zentral, dass es sich lohnt zu sagen: Bitte gut zuhören.
Die Osternacht erinnert an die Ereignisse von damals und holt sie ins „Heute“
Wer gleichsam in der Zuschauerperspektive von außen alles wahrnehmen will, wird dem Lesungstext nicht ganz gerecht. Wenn wir aber Ostern in der Beteiligtenperspektive feiern, spüren wir, dass uns das von Gott neu geschaffene Leben berührt. In der Osternacht erneuern wir unser Taufversprechen, wir bekennen, dass wir mit unserem Leben die Osterhoffnung leben wollen, wir lassen uns mit dem neugeweihten Wasser benetzen und spüren die Wassertropfen auf unserem Haar und unserer Haut. Nach der Tauffeier und der Erneuerung des Taufversprechens bereiten wir die Gaben für die Feier der Eucharistie und lassen uns vom Auferstandenen einladen zum Mahl mit ihm. Die Osternacht erinnert an die Ereignisse von damals und holt sie ins „Heute“: Wir feiern die Zuwendung Gottes zu uns Menschen. Hic et nunc: Hier und jetzt geschieht, dass wir in das neue Leben mit Christus hineingenommen werden.
Diese Feier ist atemberaubend, daher: Bitte gut zuhören.
Das Wort Gottes wird „gehört“ im Leben der Christinnen und Christen.
Die neutestamentliche Lesung in der Osternacht enthält das biblische Leitwort unseres Ordens für das Jahr 2023: „Wir wissen, dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt (Röm 6,9a)“. In diesem Jahr betrachten wir unsere Taufberufung: Christus ist von den Toten auferstanden, er beruft uns zum neuen Leben in Gemeinschaft mit ihm, dieses Leben wird seine Vollendung finden im Reich Gottes. Sehr viele Zeitgenossen lesen nicht in der Bibel, beteiligen sich nicht an Bibelgesprächen, nehmen nicht an Gottesdiensten teil und hören keine Predigten. Das Wort Gottes wird „gehört“ im Leben der Christinnen und Christen. Das ist unsere Herausforderung und Chance zugleich: Wir verkünden die Osterbotschaft, wenn Menschen an uns erkennen können, dass wir verankert sind im Glauben an die Auferstehung, dass wir in jedem Menschen das Bild Christi zu entdecken versuchen, dass wir an der Seite der Kleinen und Verachteten sind, dass unser Zusammenleben von Achtung und Respekt geprägt ist, dass wir unsere Welt und unsere Gesellschaft im Geist Christi mitgestalten wollen, dass wir unsere Christusverbindung betend ausdrücken …
Wenn das geschieht, dann mögen die Menschen die unausgesprochene Aufforderung wahrnehmen: Bitte gut zuhören.
Das biblische Leitwort unseres Ordens für dieses Jahr kann zu konkreten Impulsen führen:
- Ich trage mein Taufdatum in meinen Kalender ein und gestalte den Gedenktag meiner Taufe mit dem Entzünden der Taufkerze (oder einer Osterkerze).
- Ich nehme nach der Osternacht etwas Taufwasser mit nach Hause. Hin und wieder benetze ich die Finger mit dem Wasser, bekreuzige mich und erinnere mich an meine Taufberufung.
- Ich schreibe das biblische Leitwort, das ich jedes Jahr in der Osternacht höre, auf einen besonderen Zettel, den ich in der Brieftasche, in der Handyhülle oder in meinem Gebetbuch häufig bei mir habe.
Diese kleinen Erinnerungszeichen sagen mir: Bitte gut zuhören.
Mit den Worten eines Gebets im Gotteslob (Nummer 676,8) beten wir:
Herr, es ist deine Freude, bei den Menschen zu wohnen. Belebe, was du in der Taufe an uns gewirkt hast. Begleite die Getauften und alle, die sich auf die Taufe vorbereiten. Mache uns gemeinsam zu Boten der Hoffnung und des Friedens. Unser Leben verkünde stets dein Lob.
Confrater Dr. Martin Schomaker, Domkapitular in Osnabrück